Studium in Kiel, Fortsetzung
Am dritten Tag zog ich um, nach Kiel-Holtenau, ganz am anderen Ende der Stadt. In ein Eckhaus, das mit zwei Eingängen zu zwei verschiedenen Straßen gehörte. Ich bezog dort ein Minizimmer mit einem schmalen Sofa, einem kleinen Tisch, Bett und einem ebenfalls klein bemessenen Schrank. Überhaupt war alles sehr eng bemessen und entbehrte nicht einer gewissen Kuriosität : wenn man auf dem Sofa Platz nehmen wollte, schob man den Tisch gegen das Bett und wenn man ins Bett wollte, wieder zurück gegen das Sofa. Und beim Überziehen eines Oberhemdes machte man tunlichst die Tür auf, da man sonst die Arme nicht ausstrecken konnte. Das Zimmer hatte einen trapezförmigen Grundriß und sollte ursprünglich wohl nur als Abstellraum dienen. Der Zugang war nur über ein anderes Zimmer möglich, das an zwei jüngere Werftarbeiter vermietet war. Gab aber nie Schwierigkeiten zwischen uns, und Damenbesuche waren sowieso verpönt. An der Schmalseite des Zimmers gab ein kleines Fenster den Blick zum Hof hin frei. Dort stand auch mein Motorrad, allerdings schon auf dem Nachbargrundstück in einem nicht mehr benötigten Hühnerstall. Als Entgelt hierfür fuhr der Nachbar ab und zu mal als Sozius mit in die Stadt. Das war also meine Bleibe in der fremden Stadt, klein, aber sehr preiswert.
Kommen wir zum ersten Kontakt mit der Uni, vollzogen nach einer herrlich durchschlafenen Nacht bei den Goldingers. Sie kommen aber reichlich spät! meinte man im Sekretariat, das ich nach längerem Suchen endlich gefunden hatte. Ihnen wird ein Semester verloren gehen, denn der Chemie-Kursus hat schon angefangen und ist außerdem voll belegt! Der nächste findet erst in nächsten Wintersemester statt! Nein, ich möchte ja Landwirtschaft ...., Ja, ja, schon richtig, aber die landwirtschaftlichen Fächer kommen erst nach dem Physikum (Vordiplom)! Jetzt sehen Sie zu, daß Sie in die erste Vorlesung kommen, am besten gleich jetzt nebenan im Hörsaal für Chemie! Wieder diese Chemie, die ich doch so haßte wie der Teufel das Weihwasser!
Hörsaal soundso, gleich nebenan. Ich klopfte, wie man es als höflicher Mensch tut. Herrrrein! brüllte innen eine Stimme. Also rein. Ein voller Hörsaal schaute auf mich. Auch der Professor am Pult fixierte mich und wartete wohl, was nun kommen sollte: Entschuldigen Sie bitte mein Zuspätkommen .... Er stutzte: Nehme an, Sie sind neu! Ja, bin ich. Nehme an, Sie sind sehr neu! Ja, stimmt, gerade angekommen. Unterdrücktes Kichern im Auditorium. Das sehe ich. Na, dann nehmen Sie man erst mal Platz!Ich schlich mich ganz nach hinten , wahrscheinlich mit hochrotem Kopf. Ein paar mal traf mich noch der eisige Blick des Professors, dann hatte er den Faden wieder gefunden und setzte die Vorlesung fort, über die N-Verbindungen in den Azo-Farbstoffen. Keine Ahnung, was das war, ich verstand nur Bahnhof.
In der Pause erfuhr ich dann von Kommilitonen drei Dinge, die wichtig schienen: 1) Man kommt nicht zu spät in eine Vorlesung, 2) wenn tatsächlich mal, dann entschuldigt man sich nicht, sondern schleicht sich möglichst geräuschlos zu irgendeinem freien Platz, und 3) das allerwichtigste. einen lesenden Professor unterbricht man nicht, nie und nimmer! Das darf nur die Feuerwehr, wenn der Hörsaal abbrennt! Damals war das so, heute hat sich sicher einiges geändert.
Und dann hörte ich noch, wie wichtig Chemie für die Landwirtschaft ist, als Grundlage für z. B. Pflanzenschutz, Bodenfruchtbarkeit, Tierernährung usw. Ohne Chemie läuft also garnichts!
Und das mit dem Kochkursus, wie man das Chemiepraktikum allgemein nannte, stimmte auch: fand nur im Winter statt, und den Teilnahmeschein mit Abschlußprüfung benötigte man für die Zulassung zum Vordiplom. Ich hatte also, bevor ich anfing, schon ein Semester in den Sand gesetzt. Nach Hause fahren? Nein, ich war doch stets ein Glückspilz gewesen, warum plötzlich aufgeben? Würde die Zeit schon vernünftig verbringen.
Es gab also a) allgemeine Chemie (nicht so mein Ding), b) spezielle Botanik (recht interessant), c) Anatomie und Physiologie der Haustiere mit Präparierübungen (konnte einem schlecht werden), Geologie (ließ sich anhören), Physik (naja, ging so), Bodenkunde (endlich was handfestes) und Volkswirtschaftslehre (unwichtig, weil kein Prüfungsfach).
Weihnachten fuhr ich nach Hause, bei eisiger Kälte. Eine Sonnabend-Ausgabe der Kieler Nachrichten um Beine, Bauch und Brust gewickelt und dann auf das Motorrad. Nach 5 Stunden Fahrt war ich zu Hause. Alles wartete. Na, wie läuft es denn? Als Mutter was von Chemie hörte, wurde sie ganz nachdenklich, weil das doch schon immer mein Problem gewesen war. Habe aber alle Unwegsamkeiten überspielt und bin offensichtlich frohen Mutes im neuen Jahr wieder gen Kiel gefahren.
Da ich selbst einmal studiert habe, ist das für mich natürlich interessant, zumal meine Erlebnisse anderer Art sind. Bei uns ist das teilweise einfacher gewesen. Vielleicht sollte ich darüber auch mal schreiben?
Rieke!
so....doch gelesen...
sorry
Chrisy