Der Märchenerzähler

Meine jüngste Enkeltochter – ganze 3 Jahre jung - hält mich zusätzlich auf Trab. Bin abkommandiert zum Märchenerzähler. Mir dünkt, ich träum bald nur noch von Hänsel und Gretel, Schneewittchen, Rotkäppchen, und so fort – weil dies täglich auf der Wunschliste meiner Enkeltochter stehend...
Bin schon (fast) ein Poet geworden, was das Hinzudichten anlangt. Kann einfach der Kleinen nicht vorlesen, dass die Königin vom Jäger verlangt, dem Schneewittchen das Herz aus dem Leib zu reißen. Hab da echt Schwierigkeiten, und deshalb bediene ich mich eben einer blumenreichen Umschreibung, was mir fast immer sofortige Protestkritik einbringt: "Opa... Das hat die Tante aber nicht so gelesen... Opilein, das stimmt nicht, die Hexe wollte den Hänsel braten und nicht einsperren weil er schlimm war".... Sind ja furchtbar, diese Märchen… Gar grauslich anzuhören… Da frisst der böse Wolf das Rotkäppchen samt Großmutter… Dort vergiftet die neidische Stiefmutter das Schneewittchen mit einem präparierten Apfel… Und die böse Hexe bei Hänsel und Gretel ist ja auch nicht ohne…
Da lob ich mir schon eher die Lausbubenepisoden des Wilhelm Busch. Obwohl auch diese Geschichten für die beiden Titelhelden Max und Moritz tragisch enden. Die, anstatt durch weise Lehren Sich zum Guten zu bekehren, das berühmte Fass zum Überlaufen brachten, und als Strafe dafür - zu Korn gemahlen – von Gänsen gefressen werden. Doch die Reaktion auf die Nachricht von dem Tod der beiden wird als Frohbotschaft aufgefasst, was wiederum den eher makaberen Beigeschmack ähnlicher Märchen widerspiegelt und schon zu Beginn der Lausbubengeschichten mit dem berühmten Satz: "… Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe…!“ vorangekündigt ist.
Zu diesen Geschichten fällt mir die Legende vom Brandner Kaspar ein, die – och wie lang ist das schon her – mir meine Großmutter vorlas, und die ich später sogar als Theateraufführung miterlebt habe. Um wie viel heiterer liest sich die Geschichte des Münchner Schriftstellers Franz Ritter von Kobell: Der "Boandlkramer", wie der Sensenmann im bayerischen Brauchtum auch bezeichnet wird, will den 72-jährigen Tegernseer Schlosser Kaspar Brandner ins Jenseits befördern. Doch der listige Brandner Kaspar fühlt sich noch viel zu vital, um der Welt schon Ade zu sagen. Er überlistet den Tod indem er ihm mit Kirschenschnaps einen Rausch anzüchtet, um den stockbetrunkenen Gevatter dann beim anschließenden Kartenspiel zu betrügen. Der Gewinn: Weitere achtzehn Lebensjahre.
Die meisten Märchen enden auch eher glimpflich. Wie etwa Dornröschen, der gestiefelte Kater, oder Hans im Glück, um nur einige zu nennen. Blickt man in die Märchenwelt anderer Völker, spiegelt sich auch dort wie da ein ähnliches Bild, etwa die Geschichten der Märchenerzählerin Seherezade, die eintausend und eine Nacht lang ihrem Gebieter Fabeln erzählen musste, um ihr Leben zu retten.
Bleibt als der Weisheit letzter Schluss die Frage im Raum stehen: Sind Märchen tatsächlich so grausam oder sieht der erwachsene Mensch – weil täglich mit der Realität konfrontiert – das doch anders, als kindlich naive Phantasie?
Eine liebe Chatbekanntschaft hat mir einmal ein Gedicht für meine Homepage verehrt, wonach doch eher Letzteres stimmen dürfte.
Die Dame reimt folgendes: „…Das Märchenbuch!
Da war ein Märchenbuch aus alten Zeiten,
das gabst du mir geöffnet in die Hand,
und plötzlich führten uns die bunten Seiten
jenseits des Alltags in ein Märchenland.
Ich ließ mich gern einmal dazu verführen
zu glauben, was auf diesen Seiten steht.
konnte in Träumereien mich verlieren,
weitab von Logik und Realität.
Doch jeder Traum geht auch einmal zu Ende,
und dann führt die Vernunft wieder Regie.
Dass solche Träumerei Erfüllung fände,
das ist und bleibt nur eine Utopie!
Das Märchenbuch - ich halte es noch immer
in meiner Hand .- Mit einem letzten Blick,
und in den Augen einem feuchten Schimmer,
stell ich es selbst an seinen Platz zurück! ... “
Wie war das noch mit den sieben Geißlein? Aja, der Wolf fand sie, bis auf Eines alle und sperrte sie in ein… "Geh Opapa, gib her. Da steht: Und der Wolf verschluckte sie in seiner Gier alle, bis auf das Kleinste, das sich im Uhrkasten versteckt hat…"
Ein Wunderkind? Meine Enkeltochter…? Liest mir mit Drei Jahren schon aus dem Märchenbuch vor…?
Die heutige Generation scheint merkfähiger zu sein. Wohl auch durch den Umstand, dass in digitalen Mediawelten via TV, Spielkonsole, Handy und DVD, dass Alien, Wehrwölfe, Vampire und Spinnenmenschen mein (absichtliches) Fehlverhalten fehl am Platz, und schon in seinen Ansätzen zum Scheitern verurteilt…
Ein allerletzter Versuch: "… Heißest Du etwa gar Rumpelstilzchen?" "Das hat Dir der Teufel gesagt…!" In seiner Wut stieß das kleine Männchen sein rechtes Bein tief in den Fußboden und blieb da stecken…
"Aber Opa! Das Rumpelstilzchen riss sich doch selber mitten entzwei…"
Da gab ich auf.

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Kommentare

  1. So sehe ich das auch.
    Märchen herrlich, schön und lesenswert. Ich
    hab eine Sammlung aus vielen Ländern hier.
    Gut und Böse ergänzt sich - die Kinder können das unterscheiden.
    Meiner Tochter mußte ich jeden Abend Hänsel und Gretel vorlesen.
    Im Auto ging´s nur per Cassette um Benjamin Blümchen....
    Heute kann ich noch taraaaaa schreien.
    Wunderbar belami Deine Erlebnisse und Geschichten. Allesamt lesenswert!!!
    Was Du aller herauskramst aus Deinem "alten" Gehirn...hahahah. Bleib soo !! lara45